Der Neustart

von GEORG J. SCHULZ (TEXT & FOTOS)

Als Italiens Torwart Gianluigi Donnarumma am Ende eines langen Fußballabends den Elfmeter von Englands Bukayo Saka pariert und sein Land so zum Europameister macht, ist auch auf Deck 16 der MSC Seaview die Stimmung außer Rand und Band. Schließlich befinden sich unter den Passagieren, die das EM-Endspiel gemeinsam draußen auf einem riesigen Monitor verfolgen, so gut wie keine Engländer, dafür aber – wie immer bei MSC – eine ganze Reihe Italiener. Und die mehrheitlich Deutschen, die auf diesem ersten Nach-Corona-Ostsee-Törn ab Kiel eingecheckt hatten? Sie können sich im Urlaub zumindest mit ihren Gastgebern freuen. Obwohl MSC unter maltesischer und panamaischer Flagge fährt, den Hauptsitz in Genf hat und sich selbst als paneuropäische Marke sieht, ist die Kreuzfahrtreederei stark italienisch geprägt. Angefangen hatte nämlich alles im Jahr 1970, als Gianluigi Aponte aus Sorrent – damals ein junger Seemann und ehemaliger Bankangestellter – sein erstes Schiff kaufte: die Patricia.

Rückwärts eingeparkt:
Die MSC Seaview erreichte die estnische Hauptstadt Tallinn als eines der ersten Kreuzfahrtschiffe nach dem
Corona-Restart

Aus dem kleinen Unternehmen wurde ein Familienkonzern von Weltrang mit mehr als 560 Schiffen, darunter neben vielen Containerriesen auch 22 Cruiseliner in zum Teil gigantischen Ausmaßen. Weitere Ozeanriesen sowie eine Reihe kleinerer Luxusschiffe sind zudem noch im Bau oder in Planung. Auf dem deutschen Markt hält MSC hinter AIDA und TUI Cruises derzeit den dritten Platz, in Südeuropa ist man hingegen Marktführer. Eines der aktuell größten Schiffe der Flotte, die Seaview, ist im Juli 2021 das erste, das nach dem Pandemie-Stopp wieder Abfahrten ab Deutschland aufnimmt.

Da die Behörden in Hamburg aufgrund der strengeren Corona- Restriktionen damals den Neustart von Cruiselinern verzögern, entscheidet sich der Deutschland-Chef von MSC, Christian Hein, für Kiel als ersten Abfahrtshafen der noch verbleibenden Saison. Die Wiederaufnahme von Kreuzfahrten ab dem Ostufer sei „das Ergebnis von intensiven und erfolgreichen Verhandlungen zwischen der Reederei, den lokalen Behörden und dem Seehafen Kiel“ gewesen. Erst Monate später wird auch an der Elbe die Rückkehr gelingen – mit der Magnifica, die dann zwar erneut pausiert, am Ende aber einer der Stars bei den Cruise Days 2022 ist. Doch zurück zur Seaview, die in Kiel manch eingerostetes Prozedere erst wieder in Gang bringen muss. Trotz der zuvor mit sechs Schiffen in anderen Destinationen gemachten Erfahrungen läuft damals vieles noch nicht rund. Das beginnt schon beim Check-in: Weil jeder neue Passagier zusätzlich zum schon für die Anreise vorgeschriebenen Impf- oder Testzertifikat noch vor Ort einen Coronatest durchlaufen muss und obendrauf wegen zahlreich nötiger Updates IT-Probleme auftreten, staut sich der Zulauf erheblich. Mancher Gast steht Stunden in praller Sonne – und ist entsprechend bedient, als er endlich an Bord darf. „Das werden wir und unser Dienstleister bei den nächsten Abfahrten besser machen“, verspricht MSC-Deutschlandchef Hein.

Und er hält Wort, wie Rückmeldungen vom zweiten Törn zeigen. Das Routing der MSC Seaview ab Kiel ist bei der von uns begleiteten Premierenfahrt auf drei Stopps zugeschnitten, der Rest sind Seetage – etwas später kommt mit Warnemünde ein weiterer Stopp hinzu. Los geht es mit dem beschaulichen Visby auf der schwedischen Insel Gotland, wo sich vor allem ein Spaziergang durch die unweit vom Kai gelegene historische Altstadt und den botanischen Garten lohnt. Diese Visite allerdings muss man wie jeden der weiteren Ausflüge kostenpflichtig und vor allem rechtzeitig buchen, individuell ist zumindest bei MSC zu diesem Zeitpunkt noch kein Landgang möglich, auch nicht für Geimpfte. Streng achtet das Team um Myra Petri, die in neu geschaffener Führungsposition die Einhaltung der Corona-Protokolle überwacht, zudem darauf, dass die lokalen Tourguides niemanden aus dem Blickfeld verlieren und sich beim Ausflug keiner heimlich von der Gruppe entfernt. Ansonsten könnte passieren, dass der Landgänger aus Corona-Furcht nicht mehr zurück an Bord darf – was bei den Mittelmeertörns bereits das eine oder andere Mal durchgezogen wurde. Drei Stunden auf Gotland, immer im Schlepptau des Stadtführers, reichen natürlich nicht, um auf dieser Reise echtes Schwedengefühl aufkommen zu lassen.

Ab durch die Mauer:
In Visby auf Gotland zeigt ein Tourguide, was man in dem mittelalterlichen Ort alles gesehen haben sollte. Die historische Stadtmauer gehört dazu, aber auch ein botanischer Garten

Zwar beeindruckt die alte Hansestadt Visby mit ihrer mittelalterlichen Festungsmauer und ihren pittoresken Häusern, doch weitaus mehr bietet Stockholm, das am nächsten Tag angelaufen wird. Frei nach dem abgewandelten Bankenretter-Motto „Too big to fail“ (zu groß zum Scheitern) heißt es beim potenziell schönsten Teil der Passage, dem Einlaufen durch die Schären bis hinein in die Stadt, für MSC allerdings „Too big to sail“ (zu groß zum Segeln).

Statt wie die kleine Hanseatic inspiration von Hapag Lloyd mitten im Zentrum zu liegen, steuert die 323 Meter lange, 41 Meter breite und 72 Meter hohe Seaview den Hafen Nynäshamn an. Der ist zwar auch ganz okay, aber doch rund 60 Kilometer von Stockholm entfernt, sodass jeder Ausflug dorthin zunächst mit einer Busfahrt beginnt. Besonderheit im Jahr zwei der Pandemie: Wer diesen Bus wenigstens vor Ort verlassen und unter kundiger Führung durch die Stadt spazieren will, muss sich das Kürzel NYNAM merken. Unter diesem wird nämlich der Landgang „A walk in Stockholm, picnic lunch included“ angeboten. Das kostet mit 73 Euro pro Person zwar etwas mehr als die klassische Stadtrundfahrt, befreit einen zu Fuß aber zumindest vom sonst gebotenen Maskenzwang. Außerdem bleibt eine wirklich schöne Mittagspause nahe den Traditionsseglern gegenüber dem Vasa-Museum in Erinnerung.

Stockholms hübsche Altstadt:
Die schwedische Metropole ist eines der Highlights auf unserer Route – auch wenn das Schiff rund 60 Kilometer entfernt anlegt

Als „Bubble“ (Blase) erleben nicht nur die Passagiere die MSC Seaview, sondern auch die Crew den ersten Ostseetörn nach Pandemiebeginn. Jeder, der an Bord arbeitet muss zuvor für 14 Tage in strenge Quarantäne und wird mehrfach getestet. Unterwegs ist den über 1.200 Crewmitgliedern bis auf wenige Ausnahmen das Verlassen des Schiffes und vor allem des Hafens dann untersagt. Zum Ausgleich darf sich das Team abends auf einem gesperrten Teil von Deck 19 erholen, um auch mal an die frische Luft zu kommen. Platz zum Luftholen gibt es zum Glück genug, denn der Schiffstyp hat gefühlt mehr Außenflächen als zwei gewöhnliche Nordlandschiffe zusammen – und er ist bei unserer Tour nicht einmal halbvoll. Der Umlauf auf Deck 8 sieht von außen zwar etwas gewöhnungsbedürftig aus, bietet aber den Gästen des Buffetrestaurants – hier gibt es natürlich immer auch Pizza und Pasta – sehr viele Sitzplätze im Freien. Im Normalfall wird allerdings in einem der inkludierten Bedienrestaurants auf Deck 5 oder 6 gespeist, vor allem abends. Oder in einem der aufpreispflichtigen Spezialitätenrestaurants auf Deck 16.

Anders als die Wasserrutschen, die Pools, Teile des Wellnessbereichs, die Bars und das Theater ist die Zipline, an der man über das Pooldeck fliegen könnte, für uns noch nicht geöffnet. „Hier müssten wir wegen Corona immer gleich die Ausrüstung desinfizieren, das ist zu aufwendig“, erklärt Andrea Spezie, der wie viele Führungskräfte aus der Heimat des Unternehmensgründers kommt. Spezie leitet beim Restart den Hotelbetrieb des Schiffes und muss bei manchem Gast Abbitte für anfängliche Einschränkungen leisten. Luft nach oben hat bei der Premierenfahrt auch der „Yacht Club“, der als exklusive Luxusetage mit Butlerservice und eigenem Edelrestaurant eigentlich allerhöchste Ansprüche erfüllen soll. Immerhin: Nach wenigen Tagen ist im Bordleben spürbar Routine eingekehrt und ein Teil der Anspannung gewichen.

Lichtspiele auf der Ostseereise:
Spektakuläre Sonnenuntergänge sind auf dem sommerlichen Ostseetörn nicht selten. Kleinere Wolken lassen den Himmel zur Leinwand werden

Der letzte Landgang – ein Spaziergang durch die estnische Hauptstadt Tallinn – bestätigt dann noch einmal auf eindrückliche Weise, wie sehr die Menschen in Orten wie diesem auf eine Rückkehr der Touristenschiffe gehofft haben. „Ich hatte anderthalb Jahre keine Arbeit mehr gehabt“, sagt Tourguide Annastassia. „So schön, dass ihr endlich wieder da seid.“

Fehlt noch der Epilog: Ein Jahr nach dem von Donnarumma gehaltenen Elfmeter haben die Engländer im Juli 2022 dann mehr Fortune, genau genommen sind es aber diesmal die Engländerinnen.
Der Gegner heißt nicht Italien, sondern Deutschland, dessen Team sich mit dem Titel
Vizeeuropameister begnügen muss. In Kiel startet an diesem Tag nicht mehr die Seaview, sondern die Preziosa, während auch der komplette Rest der MSC-Flotte wieder auf den Meeren unterwegs und Corona fast schon vergessen ist. Und die Seaview? Sie tourt nun im Mittelmeer statt in der Ostsee, mit reichlich Platz an der Sonne.

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